Wie killt man sein Veränderungsprojekt?


Über den richtigen Weg, etwas in der Organisation zu verändern, gibt es Berge von Erkenntnissen, guten Ratschlägen und Literatur. Nichtsdestoweniger sind die meisten Veränderungsprojekte nüchtern betrachtet nicht oder nur teilweise erfolgreich. Haben die Experten daraus schon ihre Schlüsse gezogen? Scheinbar gibt es wenig „lessons learned“ aus dem Scheitern. Eine Alternative zu den klassischen Ansätzen wird hier diskutiert.

Ein real(istisch)er Fall:

Als Mittelschule am Stadtrand ist es alles andere als leicht, zwischen vielen Gymnasien zu bestehen – vor allem im Wettbewerb um gute Schülerinnen und Lehrerinnen. Schuldirektorin Anna hat sich entschlossen, eine Vorwärts-Strategie einzusetzen und ihrer Schule ein kräftiges, attraktives Profil zu verleihen. Die Kinder zwischen 10 und 14 sollen eine so gute Spezialisierung in der Anwendung von IT erhalten, dass sie auf Jahre hinaus einen deutlichen Qualifikationsvorsprung haben und die Basis dafür erhalten, später leichter und gut vorbereitet in einen entsprechenden Beruf einzusteigen. Damit soll „am Markt“ Werbung gemacht werden.

Anna hat von den Behörden die grundsätzliche Freigabe und Budgetzusage erhalten. Das macht die Sache schon um einiges leichter. Jetzt geht es allerdings darum, der Schule dieses Profil zu verpassen und die 50 Personen umfassende Lehrerinnenschaft zu qualifizieren und einzuschwören. Das Konzept enthält den Grundsatz, dass die Vermittlung von IT-Kompetenzen im gesamten Unterricht, also adäquat in allen Fächern passieren soll. Das heißt: alle, auch die überhaupt (noch) nicht IT-affinen Kolleginnen, müssen mitmachen.

Die Schulbehörde hat allerdings verlangt, dass ein Unterrichtsplan erstellt werden soll, der ein Mindestmaß an Vermittlung von Kompetenzen und Wissen in den verschiedenen Fächern sicherstellt. Darüber hinaus gibt es aber viele Freiheitsgrade in der inhaltlichen und didaktischen Unterrichtsgestaltung. Für das gesamte Lehrkonzept musste Anna einen Plan vorlegen, den sie mit externen Spezialisten, aber auch einigen Lehrerinnen ihrer Schule gemeinsam erarbeitet hat.

Auch gute Ideen können Skepsis erzeugen

Nun wird das Konzept – nachdem es schon lange in Ansätzen immer wieder diskutiert wurde – im Detail dem Kollegium vorgestellt. Gleichzeitig hat sich Anna um Verschiedenes gekümmert: es gibt für alle Kolleginnen einen spezifischen, individuellen Weiterbildungsplan; es werden Lizenzen für Webinare und Tutorials beschafft; es wird Impulsvorträge von erfahrenen Kolleginnen geben; alle Lehrkräfte erhalten einen Zugang zu leistungsfähigen Endgeräten, um sich selbst auf neuesten Stand zu trainieren. Schließlich gibt es die Aufforderung, Ideen für die Neugestaltung des eigenen Fachs einzubringen. Für die gesamte Vorbereitung gibt es ein ganzes Schuljahr lang Zeit, gleichzeitig wird aber schon für das nächste Schuljahr mit attraktiven Botschaften in verschiedenen Medien Werbung gemacht.

Unter der Lehrerschaft hat das neue Schulkonzept einige begeisterte Anhänger. Die sind allerdings in der Minderzahl und Anna ist es ein riesiges Anliegen, quasi alle ins Boot zu bekommen und zu aktiven Proponenten des Schultyps zu machen. Da sie nach einigen Monaten von den meisten Lehrerinnen kaum Rückmeldungen zu einem neuen Unterrichtsplan erhalten hat, spricht sie die Personen einzeln an und muss erfahren, dass es eine Vielfalt von Gründen gibt, warum das Konzept in der Form in dieser kurzen Zeit nicht umsetzbar ist. Einerseits seien die Schüler für didaktische Experimente ungeeignet, andererseits fehle ihnen neben der normalen Lehrtätigkeit schlichtweg die Zeit, ihren Unterricht komplett zu überarbeiten. Anna muss zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit im Lehrkörper ihre Ziele nicht unterstützt und ihr scheint nichts anderes übrigzubleiben, als das neue Unterrichtskonzept auf die wenigen interessierten Lehrkräfte zu beschränken. Nicht krachend gescheitert – aber bei weitem nicht das erreicht, was zu wünschen ist.

Was meint die Wissenschaft?

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Veränderungsprojekt wirklich gelingt? Die umfassende Recherche fördert kaum belastbares Datenmaterial zutage. Die Aussagen rangieren zwischen 20 % und 70 % Erfolgswahrscheinlichkeit, aber schon die Kriterien, an denen Veränderungserfolg festgemacht werden kann, sind äußerst unterschiedlich, schon gar die Beurteilung. Klar ist jedenfalls, dass viele dieser Projekte schiefgehen oder im Sand verlaufen. Interessanterweise beschäftigt sich in der seriösen Literatur kaum jemand mit den Misserfolgskriterien, mit den typischen, immer wieder gemachten Fehlern. Hingegen gibt es ganze Bücherschränke voll Information, wie man es richtig macht.

Betroffene beteiligen: so was wie Brainwashing?

Nun: den meisten Verantwortlichen ist klar, dass eine autoritär diktierte Veränderung meist nur so lang hält, wie das Verhalten der Menschen kontrolliert wird –  das genaue Gegenteil von nachhaltig. Also macht es Sinn, die Betroffenen (denen schon qua dieser Bezeichnung jede Einflussmöglichkeit abgesprochen wird) zu Beteiligten zu machen (ping – und schon sind sie umgepolt und glücklich). Das Engagement der involvierten Menschen ist bekanntlich wichtig, also wird geplant, die Menschen zu involvieren, damit sie engagiert die Ziele der Projektleitung verfolgen. Direktives Auslösen von Engagement – wie soll das bitte funktionieren?

Nehmen wir aber auch die vis à vis – Position ein: wenn ich heute für die Erreichung eines Veränderungsziels verantwortlich bin, wie viel Handlungsfreiheit gebe ich schon gerne an andere Personen ab? Solange das Ergebnis der Veränderung offen sein darf, ist es vertretbar, ja – vielleicht sogar energieerzeugend und arbeitssparend, wenn andere für mich Ideen entwickeln und umsetzen. Aber wenn ich als Verantwortlicher dafür zur Rechenschaft gezogen werde, sollte eine notwendige Veränderung nicht gelingen, wäre ich ja verrückt, mir die Kontrolle aus der Hand nehmen zu lassen.

Wer hat die Kontrolle, das ist die zentrale Frage!

Soll die verantwortliche Führungskraft also die umfassende Steuerung behalten und Gefahr laufen, dass das Projekt mangels Engagement eingeht? Oder sollen die Akteure „an der Basis“ autonom agieren und die Initiatoren damit Gefahr laufen, dass etwas völlig anderes herauskommt, als beabsichtigt? Oder irgend etwas dazwischen, denn zwischen Diktatur und Anarchie gibt es ja wohl ein Kontinuum.

Die Frage nach dem Ausmaß der Kontrolle richtig zu beantworten, sprich den Schieberegler der Autonomie in die richtige Position zu ziehen, ist eines der wichtigsten Erfolgskriterien eines Change-Projekts – so viel ist klar. Weder ist dem Gesamtprojekt geholfen, wenn sich die Beteiligten achselzuckend mangels Sinnhaftigkeit innerlich wegdrehen, noch kann es vernünftig sein, wenn statt Gleichklang die sprichwörtliche Kakophonie der Individualmusiker entsteht – also letztendlich gar kein akzeptables Veränderungsresultat nachweisbar ist. Hierarchiegesteuerte Veränderungsprojekte führen verständlicherweise selten zur Begeisterung der Akteure und sind – auch wenn sie toll designt  und kommuniziert werden – in der Regel nicht effektiv.

Was kann getan werden? 

Neben der klassischen Projektarchitektur (wie mans’s dreht und wendet: ein top-down – Gebilde) gibt es – immer abhängig von der geforderten Stringenz – andere mögliche Varianten. Hier ein paar Beispiele:

Mikrointervention

Da wäre die Möglichkeit der Mikrointerventionen. Veränderungsstränge werden von der Projektleitung in viele Aktivitäten zerlegt, die einzelnen Akteuren – am besten jenen, welche die Expertise für den zugeordneten Handlungsbereich haben – übertragen werden. Das kann man auch über Wahlverfahren organisieren – also Personen wählen sich für bestimmte Aktivitäten ein. Innerhalb des Aktionsrahmens ist die Person frei, richtige Lösungen zu finden. Der Fortschritt des Ganzen wird über eine gemeinsame Plattform transparent verfolgt und bietet die Möglichkeit der Synergiebildung. Eine Person oder eine kleine Gruppe wacht über den Fortschritt. Somit gibt es einen gewissen top-down – Charakter bei begrenzter individueller Handlungsfreiheit. Grundsätzlich ist es für die Führung immer möglich, bei mangelndem Fortschritt ordnend / unterstützend / direktiv einzugreifen. Die involvierten Personen agieren aber innerhalb ihrer Expertise frei.

Leitung durch Threads

Eine Alternative ist die Vergabe von ganzen Handlungssträngen innerhalb des Veränderungsvorhabens. Die Handlungsstränge unterstützen die Erreichung von Unterzielen des gesamten Veränderungsziels (also im obigen Beispiel wären das die Kommunikation an die Beteiligten, die Beschaffung der technischen Infrastruktur, die Schulung der Lehrerinnen, eine kreative Plattform für didaktische Ideen etc.) und werden von Teams übernommen, die in der Findung von Lösungen autonom sind. Sie dürfen sich selbst organisieren und das Resultat ist für die Initiatoren des Gesamtprojekts grundsätzlich unplanbar. Allerdings nimmt die Projektleitung die Rolle der intensiven Kommunikation mit den Teams und den einzelnen Ideenträgern und Akteuren ein. Als Kommunikationsform wird allerdings nicht die lähmende Steuerungsgruppensitzung oder das komplexe Projektteam-Meeting gesehen, sondern eine Vielzahl von Einzelgesprächen mit den verschiedenen Akteuren. Diese verfolgen das Ziel, großartige Ideen zu würdigen und zu fördern, für die Verbreitung von Ideen und Lösungen zu sorgen und Personen miteinander zu vernetzen bzw. Unstimmigkeiten zu erkennen und im Gespräch mit den jeweiligen Personen eine Abgestimmtheit der agierenden Teams zu erreichen.

Aktionsmarkt

Eine dritte Variante, sicher frei und ein Stück radikal, ist der Aktionsmarkt – passend vor allem, wenn viel Spielraum vorhanden ist und Ideen bzw. Kreativität gefragt sind. Das Gesamtziel oder -thema (zB. eine IT-Mittelschule zu entwickeln) wird samt dahinterliegender Argumentation kommuniziert und die Resonanz dazu eingeholt. Dann werden über moderierte Veranstaltungen á la open space Ideen entwickelt und bewertet. Die Akteure sollen sich in der Folge bestimmter Ideen annehmen und sie zur Realisierung bringen. Es kommt heraus, was die Einzelnen herausbringen. Die Projektführung bleibt in der Moderationsrolle: sie ermöglicht, hinterfragt, sorgt für Klarheit, dokumentiert, kommuniziert, aber greift in die Lösung nicht ein. In dieser Variante wird von der Projektleitung viel Mut und Zutrauen in die beteiligten Personen verlangt.

Zu empfehlen sind sicherlich noch viele andere Varianten, denen aber eines gemeinsam ist: es gibt keine reine top-down – Steuerung. Selbstverständlich versagt diese Form des Change-Management in allen Fällen, wo das Veränderungsziel unausweichlich und sonnenklar sein muss: Kostenreduzierung, Umbau der Strukturorganisation, Uhttps://www.linkedin.com/company/49101514/admin/msetzung einer gesetzlichen oder gesellschaftlichen Anforderung als Ziel eignen sich oft nicht für etwas anderes als für eine direktive projektgemanagte Abwicklung des Änderungsvorhabens. Für die überwiegende Mehrzahl der Fälle aber ist die Überlegung entscheidend: top down und kontrollierbar, aber nicht die Herzen erreichend und damit von zweifelhaftem Erfolg oder bottom up und nachhaltig.

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