KÖNNEN TEAMS EIN IMMUNSYSTEM ENTWICKELN?


Teams wirken nur nach außen wie eine Einheit, aus dem Inneren werden sie eher als Netzwerk von Einzelpersonen betrachtet. Logischerweise setzen Teamentwicklungsmaßnahmen daher häufig eigentlich an Einzelpersonen an. Kann im Gegensatz dazu ein Team auch als ein Organismus aufgefasst werden, der die gemeinsame Kompetenz erwirbt, ungeplante Herausforderungen zu meistern und seine Leistung zu erhalten?

Unerklärbare Phänomene

Was wäre, wenn wir unsere tausend Annahmen über Teams für einen Augenblick vergessen und „zero based“ darüber nachdenken, was ein Team nachhaltig erfolgreich macht. Beispiele gibt es ja genug: Sportteams, die über lange Zeiträume hochgradig erfolgreich agieren oder Management-Teams von Startups, die mit Null anfangen und sich – ja, durch was wohl? – über wenige Jahre zu einem unglaublichen Erfolgsmodell hochschrauben und viele mehr.

Die Rückseite der Medaille: Projektteams, die ins Stolpern kommen und durch zunehmenden Stress die Katastrophenspirale nach unten fahren oder Regierungsteams, die manchmal quasi von einem Tag auf den anderen ihr Scheitern eingestehen und das Handtuch werfen.

Wie erklärt man also den plötzlichen Leistungsabfall eines ansonsten erfolgreichen Teams? Liegt es an einzelnen Personen, die nicht mehr die Leistung bringen? Welche Rolle spielt die Stimmung, die emotionale Atmosphäre? Was muss passieren, damit der Informationsaustausch, das Zusammenspiel, die Treffsicherheit unerklärlich nachlässt (denken wir nur an Sportteams: in der Saison 1 Meisterschaftsanwärter, in der Saison 2 „abstiegsgefährdet“).

Wer selbst schon einmal erlebt hat, dass entweder unerklärbare Teamleistungen entstehen können oder aber in kurzer Zeit massive Leistungseinbrüche „auftreten“, hat sehr wahrscheinlich auch erfahren, dass die jeweiligen Ursachen kaum ergründbar sind. Es läuft wie geschmiert oder es holpert ohne Ende – schwierig zu sagen, warum. Die Aktivitäten, die gesetzt werden, um wieder Energie ins Team zu bringen – sie greifen meist gar nicht oder zumindest nicht nachhaltig. Die Mitglieder geben nach und nach die Hoffnung auf, etwas zum Besseren zu wenden und verlieren ihren Glauben an den Erfolg. Da ist doch wohl eine Teamentwicklungs-Maßnahme fällig: Stimmung heben durch ein Rafting-Event, Erwartungen und Ziele klären durch eine Teamklausur, Konflikte identifizieren, beschreiben und behandeln mit Hilfe einer Beraterin oder eines Beraters.

Jetzt geht’s wieder – aber beim nächsten Problem?

Das Kritische daran ist, dass die meisten Interventionen dieser Art kurzfristig wirken mögen, aber das strukturelle Grundproblem dahinter selten nachhaltig verschwindet, solange das Team an sich nicht die Fähigkeit besitzt, durch innere Prozesse und Aktivitäten das Richtige zu sehen, dieses besprechbar zu machen und die richtigen Korrekturmaßnahmen zu setzen.

Wenn einzelne Personen die Fähigkeit besitzen, auch in sehr herausfordernden Situationen sich nicht unterkriegen zu lassen und am Ende mit einer guten Lösung eine kleine oder große Krise überwinden können, dann spricht man von Resilienz. Diese Kompetenz wird also beschrieben als psychische Widerstandskraft oder als die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigungen zu überstehen.

Wäre es zu gewagt, diese Fähigkeit in Analogie auch einem ganzen Team zuzuschreiben und ein Team in diesem Sinn als etwas Ganzes, eine kybernetische Einheit, einen Organismus zu betrachten? In der wissenschaftlichen Literatur wird in der Erklärung von Teamentwicklung zuweilen von den ohnehin auf sehr schwachen Füßen stehenden Phasenmodellen (i.e. welche Entwicklungsschritte gibt es in jedem Team) abgesehen und stattdessen die Fähigkeit beschrieben, adäquat und lernend auf Planabweichungen und Misserfolg zu reagieren und damit die gesamte Teamleistung Schritt für Schritt über die Zeit zu verbessern und die Leistungsfähigkeit zu stabilisieren. Bei dieser Gelegenheit erwirbt „das Team“ (kann ein Team lernen?) Kompetenzen, mit diesen oder ähnlichen kritischen Situationen richtig umzugehen. Was der dahinterliegende Mechanismus ist, der ermöglicht, dass ein Teamorganismus - mehr oder minder unbewusst - lernen kann, ist weitestgehend unklar. Es gibt allerdings aus der Forschung der letzten Jahren genug Hinweise darauf, dass Teamresilienz als übergreifende Meta-Kompetenz tatsächlich existiert.

Die Voraussetzungen für nachhaltige Widerstandskraft

Was, sagt die Literatur, sind die Voraussetzungen dafür? Nun: auf der Hand liegt, dass es auf der Seite der Teamressourcen (Werkzeuge, Zeitkapazität, relevante Qualifikationen etc.) keine Einschränkungen geben darf. Limitationen im Bereich der Arbeitsbasis (Werkzeuge, Kapazität, Raumressourcen…) sind beim besten Willen auf Dauer für jedes Team giftig.

Vor allem sind es aber günstige Faktoren wie eine optimistische, entspannte Grundstimmung im gesamten Team oder die Fähigkeit, negative Entwicklungen zu erkennen und als solche zu akzeptieren. Ausgesprochen hilfreich ist eine starke Leistungsmotivation als kulturelles Teammerkmal (wobei Teams von Anfang an immer grundsätzlich leistungsmotiviert sind, diesen Status aber durch schlechte Führung einbüßen können).  Ein nicht unbedingt ganz logischer Zusammenhang mit Resilienz ist ein gemeinsames Sinnerleben: alle erfasst das Gefühl, dass man gerade seine Zeit in etwas sehr Gutes oder Bedeutsames investiert.

Die Behauptung, dass nicht nur einzelne Personen, sondern auch ein Team oder eine Abteilung die Fähigkeit besitzen kann, resilient zu sein, ist sehr neu und noch nicht sehr systematisch erforscht. Daher ist es schon ein Wagnis, im Zug der Gründung und Entstehung eines Teams Zeit und Geld zu investieren, damit heute noch unbekannte Risikofaktoren in Zukunft keinen Schaden zufügen können. Wir reden hier von einer Fähigkeit, die so ähnlich wirkt, wie unser Immunsystem: im Fall von Bedrohungen ist alles an Bord, was das Team braucht, um sich gegen Leistungseinbrüche zu wappnen – auch wenn die spezifischen Risikofaktoren heute noch gar nicht bekannt sind. Der Beweis ist noch nicht erbracht, nichtsdestoweniger erscheint es logisch: resiliente Teams sind erfolgreicher und die Investition – auch wenn die Leistung nicht spontan steigt – macht enorm viel Sinn.

 Wie das funktionieren kann (und es braucht dafür keinen langwierigen, teuren Beratungsprozess), führen wir in späteren Beiträgen im Detail aus.