sicher unsicher
Unsicherheit wird zum Gefühl unserer Zeit. Sie blockiert uns als Personen, insbesondere aber sind Organisationen und gesellschaftliche Systeme durcheinandergeworfen. Die Dynamik ist gewaltig, die Beeinflussbarkeit sinkt schmerzlich. Die bisherigen (Management-)Methoden versagen zusehends, der Erfolg und die Zukunft vieler Unternehmen ist gefährdet. Doch es gibt Mittel und Wege, mit diesem energiezehrenden Gefühl umzugehen. (Es muss sie geben!)

Sind Sie unsicher?
Nun: es wäre zeitgemäß, auf diese Frage mit „ja, sicher“ zu antworten. Zumindest zeitweilig befinden wir alle uns in Stadien merkbarer, zum Teil massiver Unsicherheit. Und es wird uns nicht als Schwäche ausgelegt werden, wenn wir das uns selbst und anderen gegenüber eingestehen.
Der Zustand der Unsicherheit selbst ist ja kaum etwas Neues. Seit es das menschliche Denken und Fühlen gibt, ist der innere Konflikt und die Abwägung von Alternativen Teil unseres „Programms“. Nicht klar zu sein, ist nicht angenehm. Aber wie lange dauert dieser Zustand? Wäre er chronisch, dann könnten wir von einem echten Problem sprechen. In den allermeisten Fällen mündet Unsicherheit allerdings in Lösungen und bildet sogar die Triebfeder für Ideen, die sonst gar nicht entstanden wären. Es hat also schon was Gutes, von Zeit zu Zeit mal kräftig unsicher zu sein – für Laura Muster, aber auch für Manager und Politiker. Wir wären nicht da, wo wir sind, wenn es nicht fortwährend eine gesunde Dosis an Unsicherheit geben würde.
Es stellt sich allerdings die Frage, wie hoch die Dosis sein kann und wie gut es möglich ist, dieses energiezehrende Gefühl wieder loszuwerden. Unsicherheit erzeugt Angst vor der Zukunft. Das Ereignis, das meine Angst auslöst, kann sehr schnell da sein (wenn ich gerade über eine dichtbefahrene Straße gehen muss) oder sehr weit in der Zukunft liegen (wenn ich mir Sorgen über meine Alterssicherung mache). Die Auswirkung auf das Wohlgefühl und die Gesundheit ist die gleiche: Angst erzeugt Stress und zu viel Stress ist so oder so ungesund.
Beeinflussbare und nicht beeinflussbare Unsicherheit
Neben der Unmittelbarkeit der Ursache für meine Unsicherheit hängt die Bewertung der Situation davon ab, ob das Gefühl „rein“ aus meinem Inneren kommt (soll ich für das Bewerbungsgespräch Jeans anziehen?) und somit direkt durch mich selbst beeinflussbar ist oder außerhalb meiner Sphäre entsteht und ohne Beeinflussungsmöglichkeit auf mich einwirkt, wie etwa die Frage, ob mein Job auch in einem Jahr noch existieren wird oder ob unser Produkt in naher Zukunft noch gekauft werden wird. Und: wie stark bedrückt diese Angst meine sozialen Umgebung? Wenn alle in meiner Familie oder Firma die gleiche Unsicherheit zum Ausdruck bringen, ist dieses Gefühl noch um Vieles stärker und beängstigender.
Nun hat sich die Persönlichkeit der Menschen über die Zeit ja nicht wesentlich verändert. Innere Unsicherheiten hat es immer gegeben und wird es immer geben. Glücklicherweise gibt es eine wachsende Menge an Erkenntnissen und Methoden, wie man besser damit umgehen kann.
Anders ist es bei den externen Faktoren. Hier gibt es einen aus vielen Versatzstücken zusammengesetzten Trend, der die erlebte Sicherheit eines Großteils der Menschen beträchtlich reduziert. Einer ein Deutschland durchgeführten Statista-Studie aus 2017 zufolge antworten auf die Frage „Leben wir in besonders unsicheren Zeiten?“ 66 Prozent der Befragten mit Ja. Es ist nur billig, darauf zu schließen, dass dieser Prozentsatz per Mitte 2020 noch deutlich höher sein dürfte.
Schocks oder Chancen?
Gesellschaften, politische Systeme, Branchen, Unternehmen: alles scheint im Umbruch. Werthaltungen, Geschäftsmodelle und Technologien entstehen und erodieren immer schneller. Da reden wir noch gar nicht vom Sektor der Finanzwirtschaft, der ja davon lebt, dass nichts vorhersehbar ist. Die sonst so stabile Industrie ist von dieser Dynamik gleichermaßen erfasst. Diverse Disruptions-Schocks sind das Alarmsignal: Wie wird es weitergehen? Anwendungen der künstlichen Intelligenz können sich – weil sich datenschutzrechtliche Abwehrbewegungen durchsetzen - als Rohrkrepierer erweisen oder integrierender Teil unseres Lebens werden. Autonomes Fahren kann die Zukunft der Mobilität sein, oder ein Fass ohne Boden. Eines ist sicher: die Investitionen in diese Technologien sind so gewaltig, dass Misserfolg unweigerlich zur Existenzfrage für Konzerne wird und in der Folge den kompletten Umbau ganzer Branchen verursacht. In den nächsten fünf bis zehn Jahren – so sehen das die meisten Studien – wird die Wirtschaft völlig anders funktionieren als heute.
Es braucht vor allem in den Organisationen neue Wege, mit der uns beherrschenden Globalisierung, Unvorhersehbarkeit und Dynamik umzugehen. Big Data und Business Analytics scheinen nicht mehr in jedem Fall die richtige Antwort zu sein, ebenso wenig wie der toll aufgebaute Strategieprozess samt perfekter interner Kommunikation. Eine Erzeugung von Scheinsicherheiten kann zur Falle werden und zu Unglaubwürdigkeit, Vertrauensverlust und damit zu Energieverlust in der Firma führen. In was können die Leute vertrauen, auf was können sie sich verlassen? Das wird zur immer wichtiger werdenden Frage für Unternehmen, die erfolgreich sein möchten. Das gestern noch funktionierende Geschäftsmodell kann morgen zur Fehlanzeige werden, das muss ich aber heute wissen.
Überwindung des Strategie-Dogmas
Das Erfolgsprojekt ist also nicht unbedingt, und das bestätigt sich immer klarer, die nächste Strategie-Initiative. Zur Sicherung der nachhaltigen Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen ist hingegen der systematische Aufbau von breit wirksamer Intelligenz, Flexibilität und damit Vertrauen und Resilienz in der gesamten Organisation unabdingbar.
Das heißt für die Menschen Gewaltiges: Entscheidungsmechanismen müssen sich ändern, die Rolle der Führungskräfte wird eine völlig andere, aber auch die der Mitarbeitenden. Dort, wo man früher untertänigst auf die Entscheidung der Vorgesetzten gewartet hat, wird Eigeninitiative und Selbsthilfe zur normalen Handlungsweise. Dort, wo die Führungskräfte in einer unübersehbaren Masse an Information und Komplexität untergegangen sind, werden sie zu Errichtern und Ernährern von Biotopen, die sich mit den Einzelheiten beschäftigen. Dort wo sich die Unternehmensführung mit hunderten Prozessen und Kennzahlen auseinandersetzen musste, wird sie zur Informationszentrale für die Arbeitsenergie in der eigenen Organisation. Das hilft den Mitarbeitenden, der Wettbewerbsfähigkeit der Firma und letztlich auch den Führungskräften. Es mag auf den ersten Blick aussichtslos erscheinen, die Grundfesten der Zusammenarbeit im Unternehmen einzureißen und neu aufzubauen. So ist es aber nicht. Die Fortsetzung dieses Blogs wird sich damit beschäftigen, wie es funktionieren kann und wie die Basis für neue starke Unternehmenskulturen gelegt werden kann.